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Symposium zur Gründung des DTB vor 175 Jahren in Hanau

07.12.2023 20:01

Anlässlich des Deutschen Turntages am Gründungsort

Symposium Hanau | Bildquelle: Medienzentrum Hanau-Bildarchiv
Symposium Hanau | Bildquelle: Medienzentrum Hanau-Bildarchiv

Nachdem der Deutsche Turner-Bund (DTB) am 2. April dieses Jahres seinen Festakt zu seinem 175-jährigen Bestehen in der Frankfurter Paulskirche gefeiert hatte, wurde nun als Auftakt zum Deutschen Turntag in Hanau das Festsymposium "Bewegung – Verantwortung – Engagement" durchgeführt. Es war kein Zufall, dass Hanau als Austragsort beider Veranstaltungen gewählt wurde, denn hier wurde in der Niederländisch-Wallonischen Kirche 1848 der Deutsche Turnerbund, ein Vorläufer des heutigen DTB gegründet. 

Über die Jahrzehnte hat sich der DTB von einem reinen Männerbund in einen modernen Sportverband mit ca. 18.000 Vereinen gewandelt, dessen knapp fünf Millionen Mitglieder heute zu fast 70 % aus Frauen bestehen. Von diesen Mitgliedern sind mehr als 1 Million über 60 Jahre alt und fast 2 Millionen Kinder und Jugendliche.

Unter der Leitung von DTB-Vizepräsidentin Prof. Dr. Annette R. Hofmann wurde am 16. und 17. November im Zuge der Feierlichkeiten zum 175-jährigen Bestehen ein Symposium organisiert. Zwar geht das Turnen auf Friedrich Ludwig Jahn und seinen ersten Turnplatz von 1811 auf der Berliner Hasenheide zurück, doch diese Zeit stand nicht im Zentrum des Symposiums. Stattdessen wurden Einblicke in verschiedene Epochen der Turngeschichte ab 1848 sowie dessen vielschichtige Entwicklung bis zur Gegenwart gegeben. Im Vordergrund standen dabei natürlich die revolutionären Ereignisse von 1848 sowie die unrühmliche Rolle der Turnbewegung in der Zeit des Nationalsozialismus. 

Die Veranstaltung versammelte international renommierte Expertinnen und Experten, neben den Vertretern und Vertreterinnen aus Deutschland waren auch Gäste aus Kanada, den USA und Tschechien anwesend, um die historischen Meilensteine und sozialen Veränderungen im Kontext des DTB zu beleuchten.

Nach den Grußworten von Beate Funck als Vertreterin der Stadt und dem Präsidenten Rüdiger Arlt der traditionsreichen TG Hanau 1837 e.V., hatte der Oberstufenschüler Malte Oberbeck die Ehre das Fachsymposium zu eröffnen. Oberbeck war 2021 erster Preisträger für das Land Hessen beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, den die Körber Stiftung zum Thema "Bewegte Zeiten. Sport macht Gesellschaft." ausgeschrieben hatte. Sein Vortrag "Gründung des Deutschen Turnerbundes in Hanau 1848" markierte den Beginn und die Grundlage des Festsymposiums.

Darauf aufbauend bezog sich Prof. Dr. Michael Krüger (Universität Münster) auf die "Revolution 1848/49 – Turnbewegung für Freiheit und Demokratie". Er bezog dabei immer Geschehnisse der Vergangenheit auf die gegenwärtigen politischen Ereignisse. Zentral waren bei ihm die grundlegende Weichenstellung der Turner und Turnbewegung in ihrem Kampf um Freiheit, Einigkeit und Demokratie. Damit unterstrich er auch die Bedeutung, die gerade der DTB auch heute in der Verteidigung dieser Werte hat, an. Dr. Berno Bahro (Universität Potsdam) und Rainer Brechtken (DTB Ehrenpräsident und DTB Präsident von 2000 bis 2016) setzten sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der Turnbewegung, der damaligen Deutschen Turnerschaft auseinander, die eine der ersten war, die sich der NS anbot, wie aus dem bekannten Zitat vom damaligen DT Führer Neuenhoff hervorgeht. Er wollte, dass die Deutsche Turnerschaft "Seite an Seite neben SA und Stahlhelm und […] Schulter an Schulter mit SA und Stahlhelm den Vormarsch ins Dritte Reich" antritt. Die DT war auch eine der ersten Verbände, die in ihren Vereinen den Arierparagraphen umsetzte, was bedeutete, dass jüdische Mitglieder ausgeschlossen wurden. Rainer Brechtken legte den Fokus auf die Gegenwart und ging darauf ein, wie der DTB mit dieser Vergangenheit umgeht. Dabei verwies er auf die Flatow Medaille, die in Gedenken an die beiden jüdischen Cousins Alfred Flatow und Gustav Felix Flatow verliehen wird. Die beiden erfolgreichen Berliner Turner, die, obwohl sie bei den Olympischen Spielen als Olympiasieger aus den Turnwettkämpfen hervorgingen, aus ihren Vereinen 1933 austreten mussten und später (1943 und 1945) im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet wurden. Die Medaille dient der Erinnerung an die Judenverfolgung innerhalb der Turn- und Sportbewegung und ist darüber hinaus aber auch als Mahnung zu verstehen, diese schrecklichen Ereignisse der Ausgrenzung und Ermordung von jüdischen Mitbürgern- und bürgerinnen und vielen weiteren Menschen in Deutschland nicht zu vergessen. Die Flatow Medaille wird an ausgewählte Athletinnen und Athleten des DTB verliehen, die nicht nur besondere sportliche Erfolge aufweisen, sondern gleichzeitig vorbildhafte Persönlichkeiten sind. Wie auch schon Krüger nahm Brechtken auf die derzeit steigenden antisemitischen Strömungen in Deutschland Bezug und betonte die Pflicht der Turn- und Sportbewegung hier entgegenzuwirken. 

Der Einblick in die Entwicklung des Mädchen- und Frauenturnens von Prof. Dr. Gertrud Pfister (Universität Kopenhagen) und Prof. Dr. Annette R. Hofmann (PH Ludwigsburg) war nicht einer Epoche gewidmet, sondern zeigte skizzenhaft die Teilhabe von Mädchen und Frauen in den letzten 175 Jahren innerhalb der (bürgerlichen) Turnbewegung auf. Hierbei wurde deutlich, wie trotz der Widerstände bis ca. 1880 durch die Männer nach und nach Frauen in die Vereine traten. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielten sie auch das Stimmrecht und nach und nach stieg ihre Mitgliederzahl. In diesem Vortrag wurden darüber hinaus die ersten Frauen erwähnt, die sich öffentlich für das Mädchen- und Frauenturnen einsetzten, dazu zählte Martha Thurm, Herausgeberin der Frauenturnzeitung, Henni Warninghoff und Els Schröder als erste Frauenturnwartin. Letztere ist Namensgeberin eines vom DTB vergebenen Preises für das ehrenamtliche Engagement von Frauen in der heutigen Turnbewegung. Pfister und Hofmann endeten ihren Vortrag, indem sie auf die von dem Turnteam Deutschland angestoßene Debatte um Ganzkörperanzüge im Frauenturnen eingingen.

Eine bisher wenig thematisierte Epoche wurde vom ehemaligen DTB-Mitarbeiter Dieter Donnermeyer gegeben, der heute stellvertretender Vorsitzender des Vereins Deutsches Sport und Olympia Museums e.V., ist. Donnermeyer widmete sich der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und der Neugründung des Turnerbundes mit seiner Neuausrichtung unter dem Frankfurter Oberbürgermeister und SPD-Politiker Walter Kolb.

Dieser erste Tag wurde abgerundet mit dem Einblick in das von Annette Hofmann und Gerald Gems herausgegebene Buch "Turnen around the World" an dem einige der Teilnehmenden mitgeschrieben haben. Es zeigt die internationale Verbreitung des deutschen Turnens auf allen Kontinenten. Vielerorts waren es die Flüchtlinge der Revolution von 1848, die in ihrer neuen Heimat darum bemüht waren eine Turnbewegung für die deutsche Community aufzubauen. In manchen Ländern besteht diese noch, wenn sie auch zahlenmäßig sehr überschaubar ist.
Das Symposium bot genügend Zeit, dass im Anschluss an die Vorträge Diskussionsrunden stattfinden konnten, so dass zusammen mit den Gästen Wissen und Erfahrungen ausgetauscht wurden. 

Während der erste Tag von Vorträgen geprägt war, standen am Folgetag zwei Podiumsdiskussionen zu unterschiedlichen Aspekten an. 

In der ersten Podiumsdiskussion, die von Dr. Christian Frenzel (Präsident des LTV Mecklenburg-Vorpommern) moderiert wurde, ging es um das Turnen nach der Wende in Ost- und Westdeutschland. Nicht nur ausgewählte Fakten waren hier von Bedeutung, sondern es sollten besonders die Erinnerungen von Zeitzeugen aus Ost und West, die die Wiedervereinigung bzw. Aufnahme der Ostturnbewegung miterlebt haben, herausgegriffen werden. Beteiligt an der Podiumsdiskussion waren Dieter Donnermeyer, Kati Brenner (Geschäftsführerin des Verein Deutsche Turnfeste e.V.) und Bianca Hüller (Vizepräsidentin OSS des Landesturnverband Sachsen-Anhalt). Frenzel leitete mit der Frage ein, mit welcher Erinnerung der 9. November 1989 verbunden sei und auf welche Weise sie zu dieser Zeit mit dem Turnen in Ost oder West in Verbindung standen. Im Weiteren wurde auf die Gründung der ersten Landesturnverbände im Jahr 1990 eingegangen. Für die Turner und Turnerinnen aus der früheren DDR bedeutete es ein komplett neues Sport- und Turnsystem. In der DDR war der Sport häufig nicht in Vereinen, sondern in Betriebssportgemeinschaften organisiert gewesen. Die Gründung von Turn- und Sportvereinen mit den entsprechenden Verbänden war eine große Herausforderung gewesen. Gern erinnerte man sich auch an das erste gemeinsame Turnfest in Dortmund/Bochum 1990. Hier fanden sich über 100.000 Teilnehmende zusammen, um eine Woche lang rund um die Uhr das Turnfestleben mitzubekommen.

In der zweiten Podiumsdiskussion, besetzt durch den Hanauer Bürgermeister Dr. Maximilian Bieri, DTB-Präsidenten Dr. Alfons Hölz, DTB-Vizepräsidenten Martin Hartmann und Kaddy Pechout, Vertreterin der Deutschen Turnjugend, wurden die Werte von 1848 bezüglich ihrer Bedeutung für die heutige Turnbewegung und deren Zukunft diskutiert. In dieser Diskussion wurden zeitgenössische Themen, wie der gegenwärtige politische Auftrag des Turnerbundes, die aktuellen politischen Themen, aber auch Geschlecht und Gleichberechtigung und Integration und Inklusion intensiv behandelt. Insbesondere das aktuelle Thema der Umbenennung der Deutschen Turnerjugend in die Deutsche Turnjugend wurde aufgegriffen. Zudem wurde das Verhältnis zwischen den Fachverbänden und den Landessportverbänden von den Teilnehmenden analytisch und persönlich beleuchtet. 

Natürlich war es bei diesem eineinhalbtägigen Symposium nicht möglich alle Epochen aufzugreifen. Die ausgewählten Themenschwerpunkte wurden intensiv behandelt und diskutiert, wobei auch die Teilnehmenden zu Wort kamen. Die Gespräche waren von Respekt geprägt und tiefgreifend. Sie wurden oft über die Diskussionsrunden hinweg, in den Pausen weitergeführt. Zum reibungslosen Ablauf in diesem würdevollen Rahmen hat die Stadt Hanau beigetragen. Sie hat nicht nur den Elisabeth-Selbert-Saal in ihrem historischen Rathaus zur Verfügung gestellt, sondern auch für die Verpflegung gesorgt und allen Interessierten im Nachklang an die Veranstaltung eine Stadtführung angeboten. Vertretend für die Stadt Hanau gilt der Dank vor allem dem Magistrat Herrn Hoppe.

 

Autorin: Marie-Therese Linse