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Sprossenwand - Magazin im DTB

Gewappnet für alle Fälle

29.03.2011 12:06

Verletzungen im Sport kommen heutzutage leider allzu häufig vor. Niemand ist davor gefeit. Auch Spitzenturner und -turnerinnen nicht, wie die gerade jüngste Vergangenheit sehr leidvoll lehrte. Für den vor Wochen an der Achillessehne operierten Fabian Hambüchen, Aushängeschild des DTB, kommen beispielsweise die jetzigen Europameisterschaften zu einem denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, aber so manch anderem geht es auch nicht besser.

Dr. Jürgen Wismach, anerkannter Spezialist für Orthopädie, Sportmedizin und Chirotherapie, ist seit 1957 Mitglied bei der Berliner Turnerschaft, damals noch unter Erich Wels. Schon vor 35 Jahren betreute er erstmals die Berliner Kunstturner und -turnerinnen und später dann die deutsche Frauen-Nationalmannschaft. Unter seiner Leitung findet bei den kommenden Turn-EM in der Max-Schmeling-Halle die medizinische Betreuung der Aktiven statt.

Dr. Wismach, wie ist die medizinische Betreuung vor Ort geregelt?

Weil bei bedeutenden Wettkämpfen, wie den jetzigen Turn-EM, ein sofortiges Eingreifen und Handeln oft entscheidend sein kann, haben die Organisatoren  entsprechend vorgesorgt. Aus diesem Grund wird für mich die Max-Schmeling-Halle eine Woche lang, vom 4. bis 10. April, ein vorübergehendes Zuhause sein. Als Leiter der 'Arbeitsgemeinschaft Medizin' bin ich mit einem dazu gehörenden Team rund um die Uhr dafür verantwortlich, schnelle Hilfe zu leisten, wo es erforderlich ist. Das betrifft in erster Linie Mannschaften kleinerer Nationen, die sich weder einen Arzt noch Physiotherapeuten leisten können. Um für alle Fälle gewappnet zu sein, haben wir im Vorfeld mit der Charité und dem Vivantes-Krankenhaus in Friedrichshain, wo die zweifache Olympiasiegerin und jetzige Professorin Dr. Karin Büttner-Janz tätig ist, Vereinbarungen für Eventualitäten geschaffen.

"Vereinbarungen für Eventualitäten", das klingt beängstigend. Wo genau liegen denn Ihrer Meinung nach die Gefahren im Turnen?

Bei der hohen Belastung und Trainingsintensität ist es ein oft schmaler Grat, auf dem sich unsere Top-Athleten befinden, zu erahnen, was für sie gerade noch zuträglich scheint und wo bereits die Gefährdung beginnt. Darin sehe ich eine große Herausforderung.

Welchen Tipp können Sie als Fachmann den Turnerinnen und Turnern mit auf den Weg geben, um größeren Verletzungen vorzubeugen?

Grundsätzlich sollte ein jeder in seinen Körper hineinhören, sollte die kleinsten Symptome wahrnehmen, aufkeimende Beschwerden weder ignorieren noch verschleppen. Nur wenn rechtzeitig die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet werden, lassen sich schlimmere Folgen vermeiden. Wir Ärzte und Physiotherapeuten haben genügend Möglichkeiten, um zu helfen, etwa durch das Anlegen von Verbänden und Bandagen, manuelle Therapie und Massagen, auch durch Akupunktur und letztendlich den wohlmeinenden Ratschlag, notwendige Ruhepausen einzuhalten.

Die Signale des Körpers wahrnehmen und entsprechend reagieren, was kann noch getan werden?

Natürlich wissen die meisten Athleten ganz genau, wie sie sich verhalten sollen, dass ein vernünftiger, über einen längeren Zeitraum durchgeführter und gezielter Trainingsaufbau notwendig ist. Auch gleichfalls, was sie vor und während des Wettkampfes zu berücksichtigen zu haben, beispielsweise eine genügende Erwärmung. Wer gegen dieses Prinzip verstößt, der riskiert Verletzungen, wobei gerade beim Turnen die Sprung- und Kniegelenke besonders beansprucht werden.

Die Erwärmung vor der sportlichen Belastung gehört also nicht zu den Mythen des Sports?

Absolut nicht. Grundsätzlich sollte sich jeder darüber im Klaren sein, dass ein kalter Motor nicht in der Lage ist, seine volle Höchstleistung zu bringen, sondern erst auf Touren gebracht werden muss. Nicht anders verhält es sich mit unserem Körper, wo ein Zusammenspiel von Muskeln, Sehnen, Bändern und Gelenken die Voraussetzung für das Erreichen bestimmter Anforderungen bildet.

Welchen Stellenwert hat "die richtige Technik" in diesem Zusammenhang?

Natürlich hat auch die richtig angewandte Technik eine entscheidende Bedeutung. Die meisten Verletzungen kommen übrigens durch Überbelastung und zu wenig Pause zustande. Deshalb muss unbedingt bei allem Tun auch Wert auf ausreichendende Regerationsphasen, vor allem nach Verletzungen, gelegt werden. Eine  gesunde Lebensweise und Ernährung sind ebenfalls entscheidend.

Bildquelle: Porträtfoto zur Verf. gestellt v. Dr. Jürgen Wismach