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Sprossenwand - Magazin im DTB

Zwischen Höhenflug und Bodenlandung

12.08.2014 13:35

Turntalent Antonia Alicke steht kurz vor dem Start bei den Olympischen Jugendspielen in Nanjing (16.-28.08.). Doch auf dem Weg dorthin hieß es trainieren, trainieren, trainieren...

Stuttgart. Umgreifen, schwingen, fliegen und wieder zupacken: Es ist eine perfekte Komposition, ein Höhenflug, der schon im Bruchteil einer Sekunde, nach einem falschen Handgriff, als Sturz enden kann. Am Stufenbarren muss Nachwuchsturnerin Antonia Alicke jede Faser ihres Körpers kontrollieren. Den Kopf stärker in den Nacken legen, die Hand schneller übersetzen und immer wieder die exakte Handstandposition treffen – die Anweisungen der Trainerin zielen auf Details ab. Details, an denen die Fünfzehnjährige auf ihrem Weg zu den Olympischen Jugendspielen im August bis zur Perfektion feilt. Bis die einzelnen Bewegungen zu einer fließenden Einheit aus Kraft und Eleganz verschmolzen sind.

Nils DunkelFast fünf Wochen vor dem bisher bedeutendsten Wettkampf ihres Lebens arbeitet sich Antonia im Stuttgarter Kunstturnforum durch einen speziellen Trainingsplan: Sie ist die einzige deutsche Turnerin, die bei den kommenden Jugendspielen im chinesischen Nanjing antreten darf. Bei den Männern ist es der Erfurter Nils Dunkel, der die deutschen Farben vertritt. Für Antonia stehen vollständige Übungen auf Wettkampfniveau, die sie wieder und wieder durchläuft, auf dem täglichen Programm. Der 18. August scheint als Stichtag über ihr und ihrem Trainer-Team zu schweben – der Tag der Mehrkampfqualifikation. Dann will sie ihrem Traum von der „großen“ Olympiade ein Stück näher kommen.

In diesen letzten Wochen geistert der Schülerin der Gedanke an den nahenden Meilenstein ihrer jungen Karriere immer häufiger durch den Kopf. Hart gekämpft hat sie für ihr Ticket nach Nanjing, und das nicht nur bei den dafür entscheidenden Deutschen Jugendmeisterschaften diesen Juni. Jahrelanges Training, Tag für Tag, hat Antonia zu einem vielversprechenden Nachwuchstalent des deutschen Turnsports geformt. Wenn sie an manchen Wochentagen schon morgens um viertel nach sieben in der Sporthalle schwitzt und die für sie zur Gewohnheit gewordenen Blessuren an Fuß-, Handgelenken und Knien verdrängt, spenden ihr Gedanken an ihre großen Ziele und Vorbilder das nötige Durchhaltevermögen.


Antonia AlickeZwischen Konditions-, Kraft- und Techniktraining verfolgt Antonia ihre schulische Laufbahn auf dem Stuttgarter Wirtemberg-Gymnasium und pendelt täglich zwischen ihrem zu Hause in Heilbronn, der Schule und der Turnhalle hin und her – ein Alltag, der der Zehntklässlerin in Fleisch und Blut übergegangen ist: „Gewöhnlich stehe ich um sechs Uhr auf, trainiere etwa zwei Stunden, gehe dann bis um 14 Uhr in den Unterricht und trainiere wieder bis um halb sechs.“ Von der Familie erhält Antonia volle Unterstützung auf dem zuweilen steinigen Weg zu ihrem Traum, solange sie Spaß dabei habe – und den hat Antonia noch lange nicht verloren. 

In ihrer Trainingshaltung spiegelt sich dieselbe Disziplin, mit der sie ihren Alltag koordiniert: „Sie könnte wahrscheinlich ihren Kopf unter dem Arm tragen und würde immer noch weiter trainieren“, scherzt Trainerin „Guti“ Probst-Hindermann. Willensstärke, Fleiß und Intelligenz – das zeichne ihren Schützling nicht nur als Sportlerin, sondern vor allem als Mensch aus. Seit fünf Jahren teilen sich Hindermann und Robert Mai die Arbeit mit Antonia im Kunstturnforum. Die gegenwärtige Einschätzung ihres Leistungsstandes: „Im Prinzip ist sie fit, wir achten jetzt besonders auf die Qualität ihrer Übungen und steigern die Belastung bis zur Abfahrt nach China“, erklärt Mai. 

Antonia AlickeSpurlos geht das zunehmend intensive Training jedoch nicht an Antonia vorüber: Regelmäßig geht sie an ihre körperlichen Grenzen und oft genug darüber hinaus. Atemlos steht sie nach einer misslungenen Übung auf der Bodenfläche im Obergeschoss der Turnhalle, ihrer Trainerin den Rücken zugewandt. „Ich kann nicht mehr.“ Doch sie schlägt das Angebot Hindermanns, den zweiten Durchgang mit weniger Schwierigkeiten zu turnen, in den Wind. Nach einer kurzen Pause zeigt sie alle Elemente auf Wettkampfniveau – und steht jede Landung. „Antonia würde nie von sich aus weniger machen. Sie ist eine Kämpfernatur“, erklärt die Trainerin.

Mit jedem durchgestandenen Tag rückt der große Showdown näher, wird die bloße Fantasie stückweise Realität. Weniger als zwei Wochen vor der Abreise am 12. August bringt die Einkleidung aller 83 Athleten der deutschen Olympia-Jugendmannschaft Antonias Schmetterlinge im Bauch noch einmal heftig zum Flattern: „Ich bin schon sehr nervös, aber ich freue mich auf alles, was kommt!“ Antonia fühlt sich fit, der Wettkampf könne schon nächste Woche sein, meint sie. Dann will sie alles, was sie hart erarbeitet hat, mühelos und leicht präsentieren: „Wenn man so viel Kraft aufwendet aber gleichzeitig alles elegant aussehen lassen kann, ist das die wahre Kunst des Turnens.“
Text: Larissa Kreisel

Weitere Infos zum Thema: 83 deutsche Athleten für Jugendspiele nominiert
Alle Infos unter www.deutsche-olympiamannschaft.de