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Otto Feicks großer Traum

07.09.2011 10:46

Rhönrad-Erfinder Otto Feick wollte seinem Sportgerät zu Weltruhm verhelfen. Höhen und Tiefen zum Trotz - Feick wäre heute stolz auf die Entwicklungen seines Rhönradsports. Ein geschichtlicher Abriss.

Adalbert von Rekowski zieht sein Feinripp-Sporthemd glatt und richtet sein Rhönrad korrekt an der weißen Linie vor ihm auf dem Sportplatz aus. Es ist der 14. August 1933. Rekowski holt tief Luft. Der Reichsbahner vom Turn- und Sportverein Berlin holt Schwung, der Startschuss fällt. Rekowski wirft seinen Körper von rechts nach links in das Rad, das rasant Fahrt aufnimmt. Nach unglaublichen 22,2 Sekunden erreicht Rekowski die 100-Meter-Marke - Rekord.

Fast 80 Jahre später, wieder Berlin, diesmal eine Turnhalle. Eine junge Frau schließt ihren hautengen Samtanzug im Nacken mit einem Druckknopf. Die Musik setzt ein, das Mädchen rollt sich geschmeidig wie eine Katze zusammen, wickelt ihren Körper um eine Querstrebe des Rades, taucht in das Innere und hängt schon kopfüber. Eine Bewegung in der Schulter, ein Druck mit den Händen, das Rad dreht sich weiter und bringt sie zurück in eine aufrechte Position. Mit einem Lächeln beendet sie ihre Musikkür - Applaus.

Vorbei die Zeiten, als sich Recken wie Rekowski in den Geschwindigkeitsrausch drehten oder beim "Bergab-Mutfahren" kopfüber Hänge hinabstürzten.

Die archaisch anmutenden, mannshohen, rohen Eisenfelgen haben seit Jahrzehnten ausgedient. Beschichtete Stahlreifen ermöglichen heute schnelle und dynamische Übungen. Das war die Voraussetzung für eine echte Renaissance des ungewöhnlichen Sports in den vergangenen Jahren: Rund 15.000 Frauen, Männer und vor allem Kinder steigen in Deutschland regelmäßig ins Rhönrad. Seit Mitte der Neunziger gibt es Europa- und Weltmeisterschaften, die letzte Weltmeisterschaft in Deutschland fand im Frühjahr 2011 im sauerländischen Arnsberg statt.

Otto FeickAll das hätte Otto Feick gefreut. Der Eisenbahnschlosser aus Schönau an der Brend hatte 1925 ein "Turn- und Sportgerät in Reifenform zu Turnzwecken" zum Patent angemeldet. Doch die konservativen deutschen Turnvereine konnten mit dem beweglichen "Turnmöbel" nichts anfangen.

Feick versucht sein Glück im Ausland. Er schafft es, die Turngemeinde Würzburg von

seinem Gerät zu überzeugen. Mit einer "Musterriege" - heute würde man wohl von einer Showtruppe sprechen - reist Erfinder Feick zwischen 1928 und 1929 durch die Welt; begeistert mit Auftritten in Frankreich, Spanien, Italien, Skandinavien, England und den USA.

Der zweite Weltkrieg beendete die kurze Karriere des rollenden Riesenreifens. Feicks einziger Sohn Fritz fällt, seine Rhönrad-Fabrikation muss er nach gut 20.000 produzierten Rhönrädern schließen.

Nach 1945 ist sein Turngerät als "deutsches Rad" in Verruf und Feick selbst mit 55 Jahren ein gebrochener Mann. Als beschämend empfindet er Besuche besorgter Sportkameraden, die ihn mit Lebensmitteln bedenken. Otto Feick stirbt 1959, verarmt und enttäuscht - die Rückkehr des Rhönrads hat er nicht mehr erlebt.

Der Weg dahin war lang und mühsam. "Die Räder haben wir überall zusammengesucht", erinnert sich die heute fast 90jährige Elfriede Jaeckel, "aus Teichen und aus Wäldern". Die Bindungen für das Rhönrad fertigte Vater Jaeckel aus ein paar alten Wehrmachtskoppeln. Trainiert wurde auf einem Parkplatz, der gleichzeitig Endstation der Buslinie 10 war; alle Viertelstunde war Zwangspause - immer wenn der Bus kam.

Auch in der DDR wurden Rhönräder aus allen Ecken und Enden zusammengesucht. 1956 gab es in Görlitz die ersten DDR-Meisterschaften. Der Mauerbau 1961 schnitt die DDR-Turner von der Entwicklung im Westen ab - und von Gerätenachschub: "Unsere Räder waren verbeult, nicht genormt, eins breiter, eins schmaler," erinnert sich der ehemalige DDR- Meister Jörg Winkler, heute passionierter Rhönrad-Archivar: "Neue zu kaufen ging nicht. Das Patent war im Westen, niemand in der DDR baute Rhönräder." In den Achtzigern wird die Materiallage in der DDR prekär - da gelingt Winkler und seinem Trainer Jürgen Lassig einen wahrere Coup: Überwuchert von Gestrüpp finden sie auf dem Gelände eines ehemaligen Reichsbahnsportvereins in der Nähe von Stendal zehn Uralt-Rhönräder. Mit Axt und Säge befreit, sandgestrahlt und neu lackiert sind sie bald wieder brauchbar. Die renovierten Räder bekommen Sportsfreunde in Strausberg bei Berlin - eine Hilfe, die sich gelohnt hat: heute wird in Strausberg auf hohem Niveau geturnt.

Inzwischen sind auch die deutschen Rhönradler wiedervereint, und seit Mitte der neunziger Jahre hat der Sport einen ungeahnten Aufschwung genommen:

Professionelles Training, Kaderschulungen, ein kompetentes Bundestrainerteam, ständig weiterentwickelte Wertungsbestimmungen. Rhönradturnen ist ein Leistungssport geworden, dessen Entwicklungspotenziale noch lange nicht ausgeschöpft scheinen.

 


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Text: Gerlind Vollmer, Berlin

Gerlind Vollmer