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Sprossenwand - Magazin im DTB

Neue Tendenzen, klare Ziele

24.01.2006 09:46

Coach Hirsch wagt einen Saison-Ausblick

Von Andreas Hirsch Auch den Männern steht ein spannendes Turnjahr 2006 bevor, denn die fundamentale Umstellung auf den neuen Code de Pointage zum 01. Januar und dessen Folgen sind noch nicht in vollem Umfang absehbar. Sicher ist jedoch: die Struktur der Wettkampfleistung wird sich durch die neuen, anderen Bewertungen insgesamt wandeln.

Die Gewichtung der Leistung und ihrer Bestandteile im neuen Wertungssystem lässt zurzeit Turner und Trainer weltweit an ihren Übungen feilen. Man könnte vermuten, dass mit den neuen Regeln auch neue Sieger einhergehen werden. Denn bisher war klar: wer kein hohes Risiko bei seiner Turnübung eingeht und keinen Ausgangswert von 10,0 Punkten erreicht, der hat keine Chance auf Edelmetall bei internationalen Wettkämpfen. Heute hingegen ist durch die Einführung des neuen Code eine andere Tendenz erkennbar: Die Virtuosität und Stabilität der Vorträge wird in Zukunft einen größeren Stellenwert erlangen. Grund dafür ist die neue Definition der Schwierigkeit der Übungs-Elemente in zehntel Schritte für sogenannte A- bis F-Teile (0,1 bis 0,6 Punkte) und die Höhe der Abzüge für Haltungs- und Ausführungsfehler (0,1; 0,3; 0,5; und 0,8 Punkte). Hier erscheint mir die Höhe der Abzüge ungleich höher bewertet, als die zu addierenden Punkte für den Schwierigkeitsgrad der einzelnen Elemente.

 

Neue Balance entscheidend


Es drängt sich daher die Frage auf: Wie schwierig muss man turnen um international erfolgreich zu sein? Die Medaillenträger von Melbourne waren nicht nur die sichersten Turner, sondern auch die mit den schwierigsten Übungen. Doch 2006 wird eine neue Balance zwischen Schwierigkeit und Schönheit des Vortrags über Erfolg und Nichterfolg entscheiden. Damit sind die Hausaufgaben jedoch noch nicht erledigt. Die Übungen werden auch länger werden, denn die erhöhte Strukturvielfalt wird nun vom Wertungssystem um ein Vielfaches belohnt. Ich denke, Turner mit einer "Schmalspurausbildung" werden es schwer haben.

Doch welche Perspektiven hat das deutsche Team? Da der Aufbau einer Mannschaft nie abgeschlossen ist, bewegt sich auch die deutsche Mannschaft ständig. Eine gute Mischung aus jungen und erfahrenen Turnern steht zwar in nicht allzu großer Anzahl, dafür aber mit der ein oder anderen ansprechenden Leistung zur Verfügung. Ein strategisches Ziel bleibt weiter die Verkürzung der Übergangszeit von den Junioren zu den Senioren. Hierdurch würde die Konkurrenz und die Dynamik im Team entscheidend erhöht und auch unsere besten Turner würden sich schneller weiterentwickeln.

„Junioren" wie Thomas Taranu oder Marcel Nguyen hatten 2005 ihre ersten Einsätze im Nationalteam. Dies ist ein Fingerzeig für jeden Turner, dass mit entsprechender Leistung und Engagement die „Tür" ins Team offen steht. Doch auch ein Fingerzeig ist kein Freilos und es kann keine "Rabatte" geben. Zum Vergleich, das Durchschnittsalter der Medaillengewinner in Athen 2004 betrug 24 Jahre, ein Alter, in dem sich unsere erfahrensten Turner gerade befinden. International gesehen haben wir also eine junge Mannschaft, doch jung heißt ja nicht unerfahren...!

Top-Turner brauchen stabile Mannschaft im Rücken


Sicherlich ist Fabian Hambüchen unsere größte Hoffnung, auch in diesem Jahr. Sein Startschuss in die Saison wird beim American Cup Anfang März fallen. Vor allem bei den Europa- und Weltmeisterschaften setze ich wieder auf ihn. Aber auch Thomas Andergassen wird wieder ein wichtiger Bestandteil des Teams sein. Bei ihm bestehen jedoch gesundheitliche Einschränkungen am Boden und am Sprung. Generell benötigen unsere besten Turner an den einzelnen Geräten eine stabile Mannschaftsleistung im Rücken, nur dann können sie ein erhöhtes Risiko eingehen und die Finalteilnahme am jeweiligen Gerät anstreben. Andernfalls kann bei einem Fehler die gesamte Mannschaft in der Wertung abstürzen. Es wird also zu klareren Funktionen innerhalb der Mannschaft kommen. Mannschaftsdienlichkeit und Finalchancen werden hier die entscheidenden Faktoren wohl heißen.

Klare Ziele - EM-Medaille


Unsere Ziele sind nach dem Reck-Titel bei den Europameisterschaften im vergangenen Jahr klar gesteckt: Wir streben auch in diesem Jahr bei der EM nach einer Medaille. Im Teamwettbewerb wollen wir darüber hinaus unter die ersten Sechs kommen. Bei der WM im dänischen Aarhus wollen wir uns mit der Mannschaft ähnlich wie bei den Olympischen Spielen in Athen platzieren, als wir Achter geworden sind. Bei den Junioren werden die starken Ergebnisse der JEM 2004 nicht zu wiederholen sein, immerhin erturnten wir dort drei Mal Gold und Silber mit der Mannschaft. Mit dem Ziel einer Mannschaftsmedaille und ein bis zwei Einzelmedaillen geht das Team um Jens Milbradt dieses Wettkampfjahr an.