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Sprossenwand - Magazin im DTB

Kinderturnen - "Kinderstube des Sports"

07.03.2012 12:25

Der Deutsche Turner-Bund verzeichnet in seinen rund 20.000 Turnvereinen und Turnabteilungen knapp fünf Millionen Mitgliedschaften. Darin enthalten sind rund 650.000 Kinder im Alter bis sechs Jahren und über eine Millionen im Alter von sieben bis 14 Jahren, die Angebote im Kinderturnen in den Turnvereinen und Turnabteilungen nutzen. Mit zusammen mehr als 1,6 Millionen Kindern nutzen 40 Prozent aller in den Turn- und Sportvereinen organisierten Kinder Bewegungsangebote im Kinderturnen. Das Kinderturnen ist traditionell eine Domäne der Turnbewegung, ein Markenzeichen. Ganz bewusst hat der DTB deshalb die Marke "Kinderturnen" als zentrales Element in das Markenkonzept des Turner-Bundes aufgenommen.

Ein Beitrag von Rainer Brechtken
Kinderturnen - "Kinderstube des Sports"
Kinderturnen ist in erster Linie ein vielseitiges, nicht normiertes und kindgerechtes Bewegungsangebot, das die motorische Grundlagenausbildung von Kindern fördert sowie eine gesunde körperliche, geistige und soziale Entwicklung unterstützt. Die Inhalte im Kinderturnen orientieren sich an den Elementen "Bewegen", "Üben", "Spielen", "Mitmachen", "Erleben" und "Können". Von der altersspezifischen Entwicklung und den motorischen Anforderungen her gliedert sich das Angebot "Kinderturnen im Verein" in die Bausteine "Eltern-Kind-Turnen" (2 bis 4 Jahre), "Kleinkinderturnen" (4 bis 6 Jahre) und "Kinderturnen" (6 bis 10 Jahre). Im Kinderturnen lernen Kinder spielerisch, ihren Körper zu beherrschen, sie gewinnen Spaß an Bewegung und Sport. Und nicht zu vergessen: durch das Gemeinschaftserlebnis in der Gruppe erwerben die Kinder fast nebenher frühzeitig soziale Kompetenz, die für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder prägend ist.

Besonders wichtig für die motorische Entwicklung von Kindern ist dabei die Vielseitigkeit im Kinderturnen. Diese sorgt für eine umfassende körperliche Grundlagenausbildung als Basis für die Ausübung weiterer Sportarten. Die zu frühe Spezialisierung von Kindern auf einzelne Sportarten führt häufig zu einseitigen Belastungen und nicht selten zu chronischen Verletzungen und Anfälligkeiten in späteren Jahren. Kinderturnen mit seiner grundlegenden körperlichen Ausbildung wirkt hier vorbeugend. Deshalb ist allen Eltern und Erziehungsberechtigten dringend zu raten: Schickt die Kinder zuerst ins Kinderturnen, bevor ihr sie zu früh zum Fußball, Handball oder sonstigen Sportarten im Verein anmeldet! Und auch für Freizeitsport wie Inliner, Skateboarding oder Skifahren ist eine Grundlagenausbildung im Kinderturnen wertvoll. Nicht umsonst spricht man vom Kinderturnen als "Kinderstube des Sports".

Kinderturnen - eine Allianz für Bewegung von Kindern
Trotz dieser überaus positiven Werte des Kinderturnens für die gesunde Entwicklung unserer Kinder, sind häufig erschreckende Informationsdefizite bei dem Personenkreis festzustellen, der für die Entwicklung von Kindern Verantwortung trägt: Eltern, Kindergärten, Kinderärzte, Politik und Verwaltung in unseren Städten und Gemeinden.
Deshalb plädiere ich dafür, dass wir in jeder Stadt und in jeder Gemeinde eine "Allianz für Bewegung von Kindern" schaffen. Stadtplaner und Politiker, Pädagogen aus Kindergärten und Schulen, Turnvereine und weitere Einrichtungen, die mit Kindern zu tun haben, gehören an einen Tisch. Aufgabe dieser Allianzen ist, für die jeweilige Kommune eine Leitplanung "Bewegung für Kinder" aufzustellen. Dabei geht es darum,

  • öffentliche Räume in den Städten und Gemeinden für die Bewegung von Kindern zurück zu gewinnen,
  • Kindertagesstätten, Kindergärten und Grundschulen Zugang zu Schwimmbädern zu ermöglichen,
  • die Einrichtungen für Kinder mit Bewegungslandschaften und Kinderturngeräten zu versorgen,
  • das Verfahren für die Zusammenarbeit zwischen Turnvereinen und Schulen bei Angeboten in der Ganztagsbetreuung der Schulen zu koordinieren,
  • Eltern und Erziehungsberechtigte zu überzeugen und zu motivieren, dass Sport und Bewegung für die Entwicklung der Kinder den gleichen Stellenwert hat wie die Ausbildung in Fremdsprachen oder Naturwissenschaften.

Schließlich ist Kinderturnen nicht nur wichtig für die motorische Entwicklung unserer Kinder, sondern fördert nachweislich auch die geistige Entwicklung. Die aktuelle Hirnforschung stellt einen kausalen Zusammenhang her zwischen Bewegung und geistiger Entwicklung. Sie weist nach, dass bereits in der frühkindlichen Phase körperliche Bewegung sich positiv auswirkt auf die Synapsenbildung im Gehirn, also entscheidend sich auswirkt auf das spätere kognitive Können der Kinder. Und es heißt in der Hirnforschung auch, dass nicht das Gehirn allein denkt und fühlt, sondern der ganze Mensch mit allen Muskeln, Nerven und Sinnen. Diesen ganzheitlichen Erziehungsansatz mit der Kombination von Bildung und Bewegung verfolgten bereits vor über 250 Jahren die Philanthropen um Johann Christoph Friedrich GutsMuths, wenn sie zum damaligen Unterricht feststellten: "Ihr lehrt Religion, Ihr lehrt Bürgerpflicht, auf Ihres Körpers Wohl und Bildung seht Ihr nicht."

Kinderturnen in die Grundschulen!
Deshalb lautet eine weitere Forderung: In unsere Grundschulen gehört Kinderturnen! In der Altersgruppe von 6 bis 10 Jahren gehen die spielerischen Elemente des Kinderturnens über in die kognitive Phase, das Erlernen und Beherrschen von komplexeren Alltagsbewegungen, verbunden mit einer vielseitigen körperlichen Grundlagenausbildung. In dieser Altersstufe - genau der Zeitraum der Grundschule - werden mit dem vielseitigen Kinderturnen die Grundlagen gelegt für jegliche spätere, sportliche Betätigung und für alle Sportarten.

Kinderturnen in der Grundschule bedeutet neben Schreiben lernen, Lesen lernen und Rechnen lernen, auch Bewegen lernen. Es muss zum Allgemeinwissen werden, dass Bewegen lernen im Fächerkanon der Schule unverzichtbar ist. Wenn Sport in der Schule ausfällt oder gar nicht unterrichtet wird, dann ist dies genauso schlimm wie fehlender Mathematik-Unterricht. Und: Für alles Lernen werden ausgebildete Lehrer benötigt. Auch für Bewegen lernen! Deshalb reicht es - erst recht in der Grundschule - nicht aus, Kinder einfach unter Aufsicht spielen und toben zu lassen. Kinderturnen in der Grundschule ist Erziehung zur Bewegung und Bewegungserziehung erfordert qualifiziert ausgebildete Pädagogen. Dies hat auch die Kultusministerkonferenz der Länder in einer Erklärung von 2009 festgestellt, in der die Kultusminister aller Bundesländer zur Qualitätssicherung des Sportunterrichts im Primarbereich qualifizierte Lehrkräfte für erforderlich halten und die Notwendigkeit unterstreichen, diese Lehrkräfte umfassend und auf der Höhe der Zeit fortzubilden. Wir müssen dazu vor Ort die Verantwortlichen beim Wort nehmen.

Nun wird mir als Präsident des Deutschen Turner-Bundes bei meinen Plädoyers für das Kinderturnen manchmal vordergründig entgegen gehalten, mit dem Kinderturnen eine umfassende und frühzeitige Talentförderung zu verfolgen, um lauter Nachfolger für Fabian Hambüchen, Philipp Boy & Co zu gewinnen. Sicherlich freuen wir uns über jedes Talent, das im Verein aus dem Kinderturnen heraus beim Gerätturnen bleibt und vielleicht später einmal das Turn-Team Deutschland stärkt. Doch nicht jedes Kind hat das Zeug, ein Fabian Hambüchen oder Philipp Boy zu werden. Allerdings hat jedes Kind, und ich betone jedes Kind, das Zeug dazu, im Kinderturnen mit zu machen. Weil Kinderturnen Alltagsbewegung, Vielseitigkeit sowie gesunde körperliche und geistige Entwicklung fördert.

Dies ist der Beweggrund für den Deutschen Turner-Bund, das Kinderturnen zum Schwerpunkt und zur Marke seiner Verbandsarbeit zu machen. In diesem Zusammenhang haben wir auch die Deutsche Kinderturnstiftung ins Leben gerufen, um zusätzliche Finanzmittel zu sammeln zur Förderung des Kinderturnens. Öffentliche und private Geldgeber haben die Möglichkeit, der Stiftung Spendengelder zuzuwenden oder im Wege einer Zustiftung selbst Einfluss auf die Ausrichtung der Stiftung und der Mittelverwendung zu nehmen. Kontakt zur Deutschen Kinderturnstiftung: kinderturnstiftung@dtb-online.de.