"Jeder Athlet hat eine Selbstverantwortung"
Interview mit Dr. Michel Léglise
Das letzte Jahr war von Doping-Affären gezeichnet, die dem gesamten Sportimage schweren Schaden zufügten. Wie alle internationalen Verbände, hat die FIG den Code der Weltagentur zur Dopingbekämpfung (WADA) genehmigt und unterzeichnet. Im Interview nimmt Dr. Michel Léglise, Präsident der medizinischen Kommission der FIG, dazu Stellung.
Michel Léglise, Sie sagten bereits 1998 dass Turnen und Doping nicht zueinander passen. Als Präsident der medizinischen Kommission und offizieller Arzt der FIG können Sie uns sagen, ob und in welchem Mass heute das Turnen und die Gymnastik vom Doping betroffen sind?
Michel Léglise: Falls ein böser Geist mich heute überzeugen könnte ihm ein Rezept zu liefern (Schande über mich!) wie man im Turnen dopen kann, würde es mir äusserst schwer fallen ihm Zutaten zu nennen, dies obwohl ich ein fundiertes Wissen in der Biologie und in Pharmakologie besitze.
Etwas verzerrt gesagt, kenne ich kein Mittel welches einem Turner ermöglicht in der Luft 3 statt 2 1/1-Drehungen auszuführen. Gewiss, man könnte dazu verführt werden Anabolika einzunehmen um die Muskelmasse zu entwickeln, aber die Entwicklung der spezifischen Kraft-Eigenschaften, welche sich oft für das moderne Turnen eher kontraproduktiv auswirken, die Geschwindigkeit, der Schwung, die pure Kraft sind heutzutage keine bezeichnende Elemente des aktuellen Turnens.
Wie wird in der FIG das Gebiet der Anti-Dopingkontrollen gehandhabt?
Gemäss den internationalen Regeln der WADA-UNESCO ist die FIG verpflichtet, die bei ihren verschiedenen Meisterschaften (Weltmeisterschaften, Weltcups, Turniere usw.) und diejenigen ihrer kontinentalen Unionen durchgeführten Dopingkontrollen direkt zu überwachen. Das gleiche gilt für die von der WADA ausserhalb der Wettkämpfe bei den Spitzensportlern durchgeführten Dopingkontrollen. Die FIG ist ebenfalls verpflichtet zu überwachen dass alle Dopingkontrollen die in ihren Mitgliedsverbänden durchgeführt und als positiv befunden wurden, dies ungeachtet des Niveaus der Turner/innen, disziplinarisch gemäss den FIG/WADA-Regeln behandelt werden. Kurz gesagt, alle Ergebnisse der durch die WADA akkreditierten Laboratorien weltweit durchgeführten Analysen gelangen an die FIG, ob es sich dabei um durchgeführte Kontrollen während oder ausserhalb der Wettkämpfe handelt.
Dies bedeutet, dass die FIG Einsicht und Kenntnis über alle Ergebnisse (mehrere Tausend) der Jahr für Jahr weltweit durchgeführten Kontrollen hat.
Welche Art verbotene Produkte könnte man im Turnen finden?
Wir besitzen eine komplette Liste der verbotenen Substanzen welche imJahr 2007 gefunden wurden. Dies betrifft 0,2% der Kontrollen, d.h. eine wirklich sehr geringe Zahl, welche acht positiven Kontrollen entspricht. Bei dieser Zahl handelt es sich zudem um untergeordnete Produkte, d.h. es wurde kein hormonelles Anabolikum gefunden. In 95% der Fälle handelte es sich um:
- Furosemid, ein Diuretikum (harntreibendes Mittel), welches ausschließlich bei Frauen gefunden wurde
- Haschisch (Cannabis).
Furosemid ist ein Diuretikum welches zum Beispiel verwendet werden kann um eine Substanz wie Anabolika zu verdecken. Man weiss aber dass dieses Produkt im Turnen und in der Gymnastik verwendet wird um etwas Gewicht zu verlieren da es wassertreibend wirkt (dabei ist dies medizinisch gesehen keine zufrieden stellende Methode). Es scheint dass bei den behandelten Fällen kein wirklicher Wille zum Doping bestand; jedoch sehen die WADA-Regeln eine Suspendierung von zwei Jahren vor (siehe auch unter www.fig-gymnastics.com Bericht M. Léglise über Furosemid) Betreffend Haschisch-Konsum, handelt es sich eher um ein Gesellschafts-Problem welches die Jugend berührt und zu verurteilen ist, auch aus gesundheitlichen Gründen. Gewiss, man kann auch gelegentlich Produkte finden die zur Behandlung von Asthma benützt werden. In diesen Fällen konnten die betroffenen Turner/innen die notwendige Einnahme dieses Produktes anhand von durchgeführten Tests medizinisch nachweisen (Zulassung für therapeutische Zwecke).
Wo befindet sich das Turnen auf der Skala der „verseuchten“ Sportarten?
Die WADA publiziert jedes Jahr die Liste der positiven Kontrollen sowie die Namen der gefundenen verbotenen Produkte nach Sportarten. Das Turnen befindet sich auf der untersten Stufe dieser Tabelle. Diese eher positive Bilanz ändert nichts an der steten Wachsamkeit der FIG betreffend der Einhaltung der WADARegeln, dies im Zeichen der Solidarität zu den anderen Sportarten und vor allem deshalb, weil der grenzenlose Einfallsreichtum der Betrüger immer wieder neue Substanzen produzieren kann.
Besteht die Gefahr dass Athleten sozusagen in eine « Falle » geraten können?
Ein Artikel des WADA-Codes sagt aus, dass jeder Athlet für die in seinen Körper zugeführten Produkte und welche in seinem Organismus gefunden wurden verantwortlich ist. Im Falle eines positiven Ergebnisses bei einer Doping-Kontrolle kann man sich eine bedeutsame Frage stellen: befindet man sich im Falle einer festen Absicht dieses Produkt zu benutzen um zu dopen? Die Analyse ergibt nur ein einfaches, objektives Resultat und lässt nicht die geringste Interpretation zu ob der Athlet dopen wollte oder nicht.
Der WADA-Code und die FIG/WADARegeln erlauben zwar eine gewisse Flexibilität und sehen etwas angepasste Sanktionen für mildernde (beschwerende) Umstände vor. Dies aber in sehr begrenzten Limiten und nur für ausserordentliche Fälle wo der Beweis, dass keine Wille zum Betrug vorherrschte, klar erwiesen ist. Dies zu beweisen ist keine einfache Sache und die Betrüger, das weiss man, sind sehr einfallsreich und können die Disziplinar-Behörden hintergehenDazu kommt, dass wenn auch kein Wille zum Doping bestand, (z.B. bei Nachlässigkeit oder Unkenntnis der Regeln) dies nur als mildernder Umstand gelten kann aber keinesfalls verhindert, eine Sanktion auszusprechen.
Könnte man die Einnahme von verbotenen Substanzen mit einer anderen Form des Betruges vergleichen, wie z.B. manipulierte Resultate?
Man weiss ja der Wettkampf erweckt auch die Versuchung nach Betrug. Diese Versuchung drückt sich auf verschiedene Arten aus, unter anderem durch parteiische Wertung, Doping usw. – Mogeleien welche die FIG aus Gründen der Moral, der Ethik und der Gesundheit nicht akzeptieren kann.
Interview: Danielle Duchoud/UEG