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Sprossenwand - Magazin im DTB

Deutschland im WM-Fieber 2006?

30.01.2006 14:00

Kommentar von DTB-Präsident Rainer Brechtken

Aus der aktuellen Ausgabe des DTB-Magazins "Deutsches Turnen": An der Fußball-WM 2006 kommt niemand vorbei. Mit dem Jahreswechsel hat der „WM-Rummel” noch einmal zugenommen: keine Redaktion lässt sich das Thema entgehen, Gewinnspiele und Werbung bieten Eintrittskarten, Unternehmen beteiligen sich und wecken Gewinn-Hoffnungen.

Viele springen auf den fahrenden Zug, wollen das Ereignis und dessen Medienwirksamkeit für ihre Ziele nutzen, auch Kritiker und „Skandalaufklärer” finden jetzt leicht eine Bühne.

Dies ist alles normal, schließlich ist die Fußball-WM 2006 in Deutschland ein gigantisches wirtschaftliches und gesellschaftliches Ereignis. Und in der heutigen Welt der Globalisierung haben wir uns doch schon fast daran gewöhnt, dass bestimmte Ereignisse mit einer manchmal nicht nachvollziehbaren öffentlichen Hysterie begleitet werden. Insofern kein Grund zur Besorgnis!

Wenn jedoch in diesen Tagen bei zahlreichen Empfängen und Grußworten zum neuen Jahr häufig aus dem Bereich des Sports und der Politik zu vernehmen ist, dass die Fußball-WM 2006 das absolut bedeutendste sportliche Großereignis in Deutschland darstellt, das dem Sport in Deutschland insgesamt zu Gute kommt, dann möchte ich an dieser Stelle einen Einwurf machen, sozusagen von der Seitenlinie.

Ich glaube, dass uns die Fußball-WM 2006 in der Sportentwicklung in Deutschland bei der Lösung der Zukunftsaufgaben des Sports nur dann weiter hilft, wenn sie einen Bezug zum Vereinssport insgesamt, zur Alltagskultur des Sports herstellt.

 

  • Für die Sportentwicklung wäre es zum Beispiel sinnvoll, wenn die WM uns helfen würde, bei Eltern, Lehrern und Schulverwaltungen den Stellenwert von allgemeinen Bewegungsangeboten für Kinder in der Schule zu erhöhen und eine Ausweitung des Angebotes durchzusetzen.
  • Für die Sportentwicklung könnte die WM hilfreich sein, wenn sie Impulse setzt für eine forcierte Sanierung kommunaler Sportstätten sowie den Bau von bedarfsgerechten Sportstätten mit Blick auf demographische Tendenzen. In Zukunft benötigen wir in den Vereinen und Kommunen zunehmend Räume für Gymnastik- und Gesundheitssportangebote speziell für die ältere Generation.
  • Für den Alltag unserer Turn- und Sportvereine könnte die WM unterstützend wirken, wenn sie in Kommunen und Behörden Türen öffnet und das Ehrenamt in den Vereinen durch den Abbau von Bürokratie und Verwaltung Entlastung und Förderung erfährt.

Dies sind nur wenige Beispiele für den Anspruch an einen gesamtgesellschaftlich hohen Stellenwert des Sports, weitere Zukunftsaufgaben des organisierten Sports lassen sich anführen. Die Beispiele belegen auf den ersten Blick, dass die Fußball WM 2006 diesen Anspruch nur unter bestimmten Bedingungen erfüllen kann, auch wenn in vielen Veröffentlichungen ein anderer Eindruck erweckt wird. Die Durchführung einer hochkarätigen internationalen Meisterschaft in einer einzigen Sportart – welche auch immer – ist eben nicht vergleichbar mit der Bewerbung bzw. Ausrichtung eines Landes für Olympische Spiele, denn dies hat Auswirkungen auf die Entwicklung des gesamten Olympischen Sports.

Deshalb plädiere ich dafür, den Ball flach zu halten und die Fußball-WM 2006 als das einzuordnen, was sie ist: Eine in hohem Maße kommerzielle Veranstaltung des Volkssportes Fußball, die Deutschland als Gastgeberland für die Welt, der wirtschaftlichen Entwicklung im Land und der Entwicklung des Fußballs in Deutschland gut tun kann. Das ist in Ordnung, daran gibt es nichts zu nörgeln, aber man möge es – bitte schön – auch so sagen.

In diesem Sinne wünsche ich den Organisatoren der WM und den Verantwortlichen im Deutschen Fußball-Bund weitgehend stressfreie Monate der WM-Vorbereitung und ein gutes Gelingen der Veranstaltung. In den vier Wochen der Fußball-WM 2006 in Deutschland wünsche ich uns ein schönes, begeisterndes Fest, sportlich attraktive Fußballspiele und eine erfolgreiche Umsetzung des WM-Mottos „Die Welt zu Gast bei Freunden”.

Versuchen wir also trotzdem die Fußball-WM 2006 zum Anlass zu nehmen, uns auch weiterhin um die Zukunftsaufgaben der Sportentwicklung zu kümmern und hoffen dabei, dass sich viele Führungskräfte aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als Bündnispartner ihrer Worte von der „besonderen gesellschaftlichen Bedeutung des Sports” erinnern, die sie zu Jahresbeginn im Zusammenhang mit der Fußball-WM 2006 geäußert haben.p>

Ihr
Rainer Brechtken
DTB-Präsident